Vergleichbare theoretische Grundlagen zur Mewes-Strategie und ergänzende Hilfsmittel

Die Partner der Offensive Mittelstand (OM) haben Praxisstandards für erfolgreiches und gutes Management entwickelt und verabschiedet. Das Besondere dieser Managementinstrumente liegt darin, dass sie zum einen konkrete Praxischecks für KMU sind und gleichzeitig in einem langfristigen inhaltlichen Abstimmungsprozess – vergleichbar mit einer DIN-Norm – von allen Partnern der OM entwickelt und als Standard guten Managements verabschiedet werden. Der Entwicklungsprozess der OM-Praxisstandards und -Checks wird immer von wissenschaftlichen Instituten getragen und begleitet, die ebenfalls OM-Partner sind.

Offensive Mittelstand

Die OM ist eine neutrale und unabhängige Plattform der intermediären Organisationen (Sozialpartner, Sozialversicherungen und Kammern, Berufs- und Fachverbände), die KMU im Alltag unterstützen, Arbeit produktiv und gesundheitsgerecht zu gestalten. Die Partner vertreten über 200 000 Berate*innen. Über gemeinsame Praxisstandards/Checks zum guten Management stimmen die Partner ihre Aktivitäten untereinander im Bewusstsein ab, gemeinsam die KMU wirkungsvoller und erfolgreicher unterstützen zu können. Die OM-Partner arbeiten auch in den Regionen in Netzwerken zusammen und nutzen die OM-Möglichkeiten. Träger der Offensive Mittelstand ist die Stiftung „Mittelstand – Gesellschaft – Verantwortung“, die von Partnern der OM gegründet wurde.

Die Mewes-Stiftung und der Bundesverband Strategieforum e.V. haben als Partner der OM an einigen dieser Entwicklungsprozess mitgewirkt. Entstanden ist eine ganze Familie von Praxisstandards und -Checks zum erfolgreichen und guten Management zu Themen wie integriertes Management, Personalführung, Gesundheit, Wissen, Innovation oder Arbeit 4.0 – siehe Abbildung 1.

Die OM-Praxisstandards und -Checks wurden insgesamt über 550 000-fach gedruckt und die Online-Tools werden jährlich von rund 400 000 einzelnen Besuchern genutzt. In dieser Abhandlung sollen die theoretischen und praktischen Grundlagen sowie die Schnittstellen zur Mewes-Strategie dargestellt werden.

Die Grundlagen der OM-Praxisstandards und -Checks

Die OM-Praxisstandards und -Checks basieren auf folgenden Grundlagen

  • Der Theorie sozialer Systeme (vgl. u.a. Baecker 1999; Luhmann 1994, 2000; Weick 1995) und soziotechnischer Arbeitssysteme (vgl. u.a. Schlick et. al. 2018; Ropohl 1979; Sydow 1984)
  • Der systemischen Managementlehre (vgl. u.a. Bleicher 1996; Gomez & Probst 2001; Malik 1993; Steinmann, Schreyögg 2000).
  • Den Praxiserfahrungen erfolgreicher kleiner und mittlerer Unternehmen, die bei der Entwicklung eingebunden sind. Außerdem werden die OM-Praxisstandards und -Checks vor der Verabschiedung durch die OM-Partner in Betrieben auf Praxistauglichkeit evaluiert.

Im Folgenden sollen die ersten beiden Punkte – die systemischen Theorieansätze – kurz skizziert werden. Nach diesen Ansätzen wird das Unternehmen als ein soziales System gesehen. Ein soziales System eines Unternehmens wird durch Kommunikation konstituiert und handelt selbstorganisiert (Luhmann 1994 :  191ff). Voraussetzung für ein Unternehmen sind mindestens zwei Personen, die das Ziel haben, für einen Markt etwas zu produzieren oder eine Dienstleistung anzubieten. Dieses Ziel gibt allen Entscheidungen und Handlungen des Unternehmens einen Sinn und orientiert sie. Die Kommunikation und der Sinn des Unternehmens, ein spezifisches Produkt zu erstellen oder eine spezifische Dienstleistung anzubieten, ist immer einzigartig. Kein anderes Unternehmen macht es genauso.

Um das Ziel und den Sinn des Unternehmens in einem Wertschöpfungsprozess erfolgreich und auf Dauer zu realisieren, sollten die beteiligten Personen, das Ziel möglichst systematisch angehen. Sie sollten alle Faktoren, die bekannt sind, berücksichtigen, die Risiken (Chancen und Gefahren) einschätzen und möglichst bewusst und zukunftsorientiert entscheiden und handeln. Sie sollten also eine Strategie entwickeln, wie das Unternehmen langfristig erfolgreich ist. Sie sollten sich bewusst machen, wo sie sich von anderen unterscheiden, wo sie etwas Besonderes und Einzigartiges anbieten, wo die Marktlücken und Engpässe am Markt finden. Die Strategie hilft die Entscheidungen und Handlungen auf die wirkungsvollsten Potenziale des Unternehmens zu orientieren.

Dazu sollten die Unternehmen alle Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen einsetzen und nutzen. Beim Nutzen der Ressourcen kommt es aber nicht drauf an, wahllos alles zu optimieren und auch nicht, sich auf traditionelle betriebswirtschaftliche Aspekte wie Gewinn und Finanzen zu fokussieren. Die Qualität der Führung besteht gerade darin, die Kern-Ressourcen zu erkennen, von denen das Unternehmen abhängt. Dazu gehören vor allem diejenigen Ressourcen, die das Unternehmen konstituiert und aufgebaut haben: die Kunden sowie die beteiligten Personen im Unternehmen, die Qualität ihrer sozialen Beziehungen und der Kommunikation (humane und soziale Ressourcen).

Die Praxisstandards und -Checks der Offensive Mittelstand betrachten vor allem die Ressourcen im Unternehmen selber und konzentrieren sich dabei auf die Kern-Ressourcen Personen, soziale Beziehungen und Arbeitsbedingungen. Die Beziehungen der beteiligten Personen im Unternehmen sind formal und explizit durch die Organisation geregelt – wie zum Beispiel durch Verträge, Vereinbarungen, Organigramme, Rollen und Machtpositionen, Arbeitsaufträge, Arbeitsanweisungen. Gleichzeitig wirken in der Kommunikation der beteiligten Personen implizite und kulturelle Faktoren- wie zum Beispiel Unternehmenskultur und Werte, Betriebsklima, Führungsqualität. Die handelnden Personen setzen außerdem Finanzmittel, auch Technik, Arbeitsmittel sowie Arbeitsstoffe in einer Arbeitsumgebung ein. Dieses soziotechnische Arbeitssystem eines Unternehmens entwickelt sich im Zeitfluss und im ständigen Kontakt mit seiner Umwelt (Kunden, Natur, Gesellschaft) fortlaufend weiter.

Die systemische Sozial- und Arbeitswissenschaft sowie Betriebswirtschaft belegt, dass ein Unternehmen dann erfolgreich ist, wenn es Bedingungen schafft, in dem sich alle seine Kern-Ressourcen als Gesamtsystem für eine eindeutige Zielsetzung entfalten können (vgl. u.a. Baecker 1999; Bleicher 1996; Luhmann 2000; Malik 2000; Schlick et. al. 2018; Steinmann, Schreyögg 2000; Weick 1995; Ulich 1994). Vor allem die zentralen Ressourcen Sinn und strategische Ausrichtung sowie die Menschen und soziale Beziehungen, die das Unternehmen und seine Strategie konstituieren, tragen und fortschreiben, benötigen optimale Entwicklungsbedingungen. Dabei kommt es nicht darauf an, so zu werden wie die anderen Unternehmen, sondern die im sozialen System des Unternehmens bereits angelegte Einzigartigkeit bewusst weiter auszubauen. Der jeweils einzigartige Wertschöpfungsprozess jedes Unternehmens wird erfolgreich, wenn diese skizzierten Bedingungen produktiv und gesundheitsgerecht gestaltet sind und im Zeitfluss als Prozess lebendig gehalten werden – siehe Abbildung 2.  

Diese systemische Betrachtung des Unternehmens verdeutlicht auch, dass niemals eindimensional und kurzfristig Gewinn das zentrale Ziel des Unternehmens sein kann, sondern dass es auf das optimale Zusammenspiel der beschriebenen komplexen Faktoren ankommt. Gelingt diese optimale Gestaltung des Systems „Unternehmen“ ist Gewinn das nachhaltige Ergebnis und es gelingt, das Unternehmen langfristig am Leben zu erhalten. Die Erfahrungen der Offensive Mittelstand zeigen, dass es gerade die erfolgreichen kleinen und mittleren Unternehmen sind besonders die Hidden Champions, die ihr Unternehmen wie skizziert gestalten.

Die Praxisstandards und -Checks der Offensive Mittelstand basieren auf diesen validen Theorieansätzen. Insofern sind bei allen Themen der OM-Praxisstandards und -Checks folgende Handlungsbereiche als gute und erfolgreiche Unternehmenspraxis beschrieben:

  • Strategie – Die Strategie ist der zentrale Faktor, der dem sozialen System „Unternehmen“ Ziel und Orientierung gibt, konstituierend für das Unternehmen ist und bewusst gestaltet werden sollte. Die Strategie entscheidet, wie das Unternehmen am Markt agiert, sich in der Umwelt und der Gesellschaft verhält und im Unternehmen die Menschen behandelt.
  • Führung – Die Qualität der Führung entscheidet darüber, wie das Unternehmen strategisch aufgestellt ist sowie sich entwickelt, wie die formale Organisation gestaltet ist und wie aktivierend die Unternehmenskultur ist.
  • Organisation – Mit der Organisation wird der formale Rahmen möglichst reibungslos und unbürokratisch gestaltet und mit ihr werden die normativen Vorgaben festgelegt.
  • Unternehmenskultur – Die Unternehmenskultur prägt die Qualität der sozialen Beziehungen sowie die Art des Umgangs miteinander und der Beteiligung der Akteure im Betrieb. Sie ist wesentlicher Faktor für Bindung und Motivation aller Beteiligten.
  • Prozesse – Alle Entscheidungen und Handlungen im Unternehmen zielen auf eine wirkungsvolle Gestaltung des Wertschöpfungsprozesses mit einem fortlaufenden Engagement der Verbesserung.

Alle Einzelthemen der jeweiligen OM-Praxisstandards und -Checks behandeln vom Wettschöpfungsprozess aus betrachtet, den Beitrag des jeweiligen Themas zu diesen Handlungsbereichen. Also beispielsweise wird im INQA-Check „Gesundheit“ dargestellt, welchen Beitrag das Thema Gesundheit für eine erfolgreiche Strategie des Unternehmens bietet, für eine intelligente Führung, für eine systematische Organisation oder für eine aktivierende Unternehmenskultur.

Mewes Strategie und OM Praxisstandards

Die Mewes Strategie (MST) und die Ansätze der OM-Praxisstandards und -Checks basieren auf vergleichbaren Theorieansätzen. Die Mewes-Strategie leitet sich von der kybernetischen Systemtheorie ab, die OM-Praxisstandards und -Checks basieren auf der Theorie sozialer Systeme und dem Arbeitssystem-Ansatz. Den Mewes-Ansatz beschreibt Kerstin Friedrich folgendermaßen „Wolfgang Mewes, dem geistigen Vater der engpasskonzentrierten Strategie, ist es erstmals gelungen, die in den Naturwissenschaften schon lange bekannten Gesetze vom wirkungsvollsten Einsatz der Kräfte auf soziale Systeme zu übertragen“ (Friedrich o.J.: 3).

Die grundlegenden Ansätze von Mewes sind nach Friedrich (ebenda):

  • den richtigen, nämlich wirkungsvollsten Einsatz der Kräfte, was dem OM-Ansatz der Konzentration auf die konstituierenden Elemente sozialer Systeme wie Sinn, Ziele und Strategie entspricht.
  • die bestmögliche Aktivierung der Energien und Interessen von Menschen, was im OM-Ansatz die gute Qualität der Unternehmenskultur, die wertschätzende Führung sowie die produktive und gesundheitsgerechter Arbeitsgestaltung ist,
  • sowie die Nutzung der Prinzipien der Macht- und Harmonielehre, was im OM-Ansatz durch sinnorientierte Kommunikation unterschiedlicher Rollen im sozialen System hinterlegt ist.

Auch andere Ansätze der Mewes-Strategie entsprechen den Ansätzen der OM-Praxisstandards und -Checks. Der OM-Ansatz stellt beispielsweise die Einzigartigkeit des jeweiligen sozialen Systems „Unternehmen“ heraus und leitet davon auch die Potenziale für die Strategie des Unternehmens ab, während die Mewes-Strategie in der EKS (der Engpass-Konzentrierten Strategie) ebenfalls den Weg zur Einzigartigkeit als Erfolgsfaktor sieht. „Man wird in wachsendem Maße einzigartig“, schreib Mewes zur erfolgreichen Anwendung seiner Strategie (Mewes 2001:15).

Vergleichbares gilt für den Aspekt der „Fähigkeit zur Selbstorganisation“ (Friedrich o.J.: 13), der Orientierung auf das systematische und zielgerichtete Handeln, das sich gegen eher zufällige Entwicklungen wendet (Friedrich o.J.: 20), oder das Ziel, mit den vorhandenen Kräften auf den jeweils wirkungsvollsten Punkt zu zielen (Friedrich o.J.: 31). Auch die Mewes-Prinzipien decken sich weitgehend mit den OM-Ansätzen wie zum Beispiel das Prinzip „Nutzen vor Gewinnmaximierung“ (Friedrich o.J.: 11ff) oder immaterielle vor materiellen Vorgängen (Friedrich o.J.: 36ff).

Diese gemeinsamen inhaltlichen Grundlagen von Mewes-Strategie und den Ansätzen der OM-Praxisstandards und -Checks sind Grundlage für den gegenseitigen Nutzen. Die OM-Praxisstandards und -Checks können das Thema Strategie als Einstieg nur anreißen, da die Checks nur erste Denkmuster anbieten wollen, die dann von einzelnen OM-Partnern vertiefend behandelt werden.

Dies gilt auch für die Akteure der Mewes-Stiftung und des Bundesverbandes Strategieforum e.V. Die OM-Praxisstandards und -Checks können Unternehmer und Führungskräfte zum Thema Strategie „nur“ aufschließen, die Mewes-Strategie liefert dann die vertiefenden Ansätze zur Umsetzung. Grundlage sind hier die vier Prinzipien der Mewes-Strategie (Nutzen vor Gewinn, Ganzheitliche Spezialisierung und Fokussierung, Minimumprinzip und Immaterielle vor materiellen Vorgängen) sowie die sieben Mewes-Phasen

  • Phase 1: Analyse der Ist-Situation und der speziellen Stärken
  • Phase 2: Das erfolgversprechendste Spezialgebiet
  • Phase 3: Die erfolgversprechendste Zielgruppe
  • Phase 4: Engpassanalyse
  • Phase 5: Innovationsstrategie
  • Phase 6: Kooperationsstrategie
  • Phase 7: Das konstante Grundbedürfnis

Aber auch umgekehrt entsteht ein Nutzen. Werden in der Mewes-Strategie Schwachstellen vor allem in der Nutzung und Konzentration der innerbetrieblichen Ressourcen festgestellt, bieten die OM-Praxisstandards und -Checks zu den diversen Feldern des Managements vertiefende Systematiken und Denkmuster. Sie beschreiben jeweils die gute Praxis erfolgreicher Unternehmen zu diesen Themen und fassen den jeweiligen Stand der Wissenschaft zu den Themen zusammen. OM-Praxisstandards und -Checks sind Handlungs- und Beratungsmuster, mit denen auch fachfremde Beratende gemeinsam mit den Akteuren in den Unternehmen die Potenziale eines Themas systematisch als Gesprächsbegleiter erschließen können.

Literatur

Baecker, D. (1999). Organisation als System. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag

Bleicher, K. (1996 (1995)). Das Konzept integrierten Managements. Frankfurt am Main/ New York: Campus Verlag, 4. Auflg.

Friedrich, K. (o.J.). Die Prinzipien der Mewes-Strategie. o.O.

Luhmann, N. (1994 (1987)). Soziale Systeme. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag

Luhmann, N. (2000). Organisation und Entscheidung. Opladen/ Wiesbaden: Westdeutscher Verlag

Malik, F. (2000 (1984)). Strategie des Managements komplexer Systeme. Bern/ Stuttgart/ Wien: Verlag Paul Haupt, 7. Auflg.

Malik, F. (1993). Systemisches Management, Evolution, Selbstorganisation. Bern/ Stuttgart/ Wien: Verlag Paul Haupt

Mewes, W. (2001). Wie man die erfolgversprechendste Marktlücke findet. In: Mewes, W.; Beratergruppe Strategie (Hrsg.). Mit Nischenstrategie zur Marktführerschaft. Zürich Orell Füssli Verlag

Ropohl, G. (1979). Eine Sydtemtheorie der Technik. München/ Wien: Carl Hanser Verlag

Schlick, C.; Bruder, R.; Luczak, H. (2018 (1993)). Arbeitswissenschaft. Wiesbaden Springer Vieweg Verlag, 4. Auflg.

Steinmann, H.; Schreyögg, G. (1990 (2000). Management. Wiesbaden: Gabler Verlag, 5. Auflg.

Sydow, J. (1985). Der soziotechnische Ansatz der Arbeits- und Organisationsgestaltung. Frankfurt am Main: Campus Verlag

Ulich, P. (1994 (1991). Arbeitspsychologie. Stuttgart: Schäffer Pöschel Verlag, 3. Auflg.

Weick, K. (1995 (1985). Deer Prozess des Organissierens. Frankfurt am Main Suhrkamp Verlag, 2. Auflg.