MEWES-STRATEGIE-PRINZIP 3
DAS MINIMUMPRINZIP
Spezialisierung und Fokussierung sind das erste wichtige Element der Mewes-Strategie. Die sich daran anschließende Frage lautet: Auf welche Leistungen und Probleme soll ich meine Kräfte richten, um selbst mehr Erfolg zu haben und um attraktiver für anderen zu werden?
Die Welt ist bekanntlich voll von ungelösten Problemen, es gibt noch immer unzählige unerfüllte Kundenwünsche und es entstehen laufend neue. Neben individuellen Problemen gibt es weiterhin noch ungezählte soziale und ökologische Probleme.
Auf welche dieser Aufgaben sollst du künftig deine Kräfte richten? Diese Frage ist manchmal ganz einfach zu beantworten, wenn sich das erfolgversprechendste Spezialgebiet sofort aus der Analyse der eigenen Stärken ergibt. Wer eine herausragende Stärke in Dackelzucht oder in der Produktion großformatiger Rohrverbindungsteile hat (und dies auch gern tut), braucht erst einmal nicht weiter zu suchen und kann sich sofort an die Marktanalyse machen: wie viele Mitbewerber gibt es, wie hoch ist der Wettbewerbsdruck? Dann kann man schauen, ob es Sinn macht, sich noch weiter zu spezialisieren – etwa auf Zwergdackel.
Doch nicht immer ist es so einfach, und nicht überall können wir unsere Kräfte so entfalten, wie wir es wollen. Selbst wenn wir über einzigartige Fähigkeiten verfügen und mit diesen reale Probleme lösen, ist noch nicht gesagt, dass uns unsere Liestung aus den Händen gerissen wird. Häufig stoßen wir mit unseren Plänen und Entfaltungswünschen auf Widerstände ganz unterschiedlicher Art. Wir glauben, über gute Problemlösungen und Leistungen zu verfügen, können diese aber nicht an den zahllosen Widerständen der Händler, Kunden, Geschäftspartner und Vorgesetzten vorbei durchsetzen. Du kannst solche Widerstände leichter überwinden, wenn du lernst, dich in sogenannten „vernetzten Systemen“ zu bewegen. In vernetzten Systemen kommt es nicht darauf an, möglichst viele Kräfte einzusetzen, sondern mit den vorhandenen Kräften auf den jeweils kybernetisch wirkungsvollsten Punkt zu zielen.
Auf einem Markt wirken unendlich viele Akteure zusammen: Unternehmer, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Geschäfts- und Kooperationspartner, Groß- und Einzelhändler, Meinungsführer, Innovatoren, und viele andere. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass sich Angebot und Nachfrage so gut wie möglich ausgleichen. Alle diese Teilchen sind mehr oder weniger sichtbar miteinander verbunden – man könnte auch sagen: Sie sind untereinander vernetzt, oder: sie bilden ein vernetztes System. Das bedeutet: Veränderungen eines Elementes führen unweigerlich zu Veränderungen anderer Elemente, das heißt, sie wirken immer auf das gesamte System. Genauso ist es auf Unternehmensebene: Auch hier gibt es ein Geflecht aus Beziehungen zwischen Lieferanten, Abnehmern auf verschiedenen Handelsstufen, Endkunden, Mitarbeitern und Führungskräften, Kooperationspartnern, Konkurrenten, Banken, Medien und so weiter und so fort.
In jedem vernetzten System gibt es kybernetisch besonders wirkungsvollste Punkte, von denen aus du das gesamte System nachhaltig verändern und beeinflussen kannst. Das bedeutet: Mit nur einer Maßnahme und mit (im Idealfall) geringem Kräfteaufwand kannst du eine verhältnismäßig große Wirkung erzielen. In vernetzten Systemen führen alle Veränderungen stets zu Veränderungen auf anderen Ebenen. Beispiel: Wenn du einem Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung gibst, führt dies im System „Unternehmen“ und auch außerhalb zu einer Kettenreaktion von Veränderungen. Die Gehaltserhöhung wirkt unmittelbar auf Kosten, Liquidität und Gewinn, der Mitarbeiter ist motiviert und macht eventuell mehr Umsatz und bringt bessere Leistungen. Die Kunden sind zufriedener (oder genervter) aufgrund dieses Motivationsschubs. Die Gehaltserhöhung kann aber auch auf andere Mitarbeiter demotivierend wirken und somit insgesamt negative Folgen – auch für dich als Vorgesetzten – haben.
Ähnlich wirkt jede wirtschaftliche Entscheidung immer auf verschiedenen materiellen und immateriellen Ebenen. Bitte erinnere dich: Wo hast du in deinem Unternehmen oder in anderen Situationen schon einmal so eine Kettenreaktion von Folgen nur aufgrund einer einzigen Maßnahme beobachten können?
Die Vernetzungen eines Marktes oder eines Unternehmens sind wie ein riesiges, unsichtbares Netz. Wer die Strukturen dieses Netzes nicht durchblickt, verheddert sich aussichtslos darin und wird im Extremfall handlungsunfähig. Wer jedoch diese Vernetzungen und die darin liegenden wirkungsvollsten Punkte erkennt, kann sie für seine Zwecke einsetzen und sich ihrer Verbindungen bedienen. Obwohl die meisten Menschen sehr schnell begreifen, dass sie in vernetzten Systemen leben und arbeiten, denken und handeln sie immer noch so, als ob ihre Kräfte nur isolierte Wirkungen hätten: Techniker etwa optimieren technische Vorgänge, Betriebswirte finanzielle und so fort. Dass nicht die Größe der eingesetzten Kräfte, sondern ihr exakter Einsatz auf den kybernetisch wirkungsvollsten Punkt wichtig ist für den Erfolg, zeigt unter anderem die biblische Legende von David und Goliath. Ihr zufolge soll der schmächtige Hirte David den kräftemäßig weit überlegenen Heerführer der Philister, den riesenhaften Goliath, besiegt haben. Warum? Weil David sich genau anders verhielt als sein Gegner:
Erstens konzentrierte David seine Kräfte mit Hilfe der Steinschleuder und konnte die Wirkung seiner Kräfte dadurch vervielfachen. Goliath dagegen schlug wild und ungezielt um sich.
Zweitens zielte David ganz genau auf den wirkungsvollsten Punkt, nämlich die Stirn, und verletzte Goliath tödlich.
Die Erklärung ist einfach: Der menschliche Körper ist ein vernetztes System, und David hatte den Knotenpunkt getroffen, der lebenswichtige Körperfunktionen steuert. Jeder andere Treffer – zum Beispiel an die Schulter – hätte die Situation für David keinesfalls verbessert, sondern hätte den Zorn und die Energie von Goliath voraussichtlich nur noch gesteigert. Es gab also für David keine Alternative: Er musste den „kybernetisch wirkungsvollsten Punkt“ treffen, um Erfolg zu haben. In komplexen Systemen steht eine Vielzahl materieller und immaterieller Faktoren miteinander in Beziehung. Veränderungen auf einer Ebene führen immer zu Veränderungen auf den anderen Ebenen. Besonders starke positive Wirkungen werden ausgelöst, wenn zentrale Engpaß- oder Kernprobleme gelöst werden. In dieser Kettenreaktion lösen sich viele Probleme von selbst, und das Lösen der restlichen wird einfacher. Jedes vernetzte System hat einen oder mehrere solcher „kybernetisch wirkungsvoller Punkte“, von dem aus die Entwicklung des gesamten Systems gesteuert werden kann.
Jeder kennt aus langjährigen Partnerschaften solche „wirkungsvollsten“ Punkte: Eine kleine Bemerkung genügt, und schon geht der andere an die Decke. Fanatische Sammler geben ihr letztes Geld, um das Objekt ihrer Begierde zu bekommen – das Wissen um diesen „Engpass“ kann skrupellosen Betrügern Tür und Tor öffnen. Unternehmen wenden Jahr für Jahr Milliardenbeträge auf, um über Marktforschung und Werbung herauszufinden, wo der „wirkungsvollste Ansatzpunkt“ im unberechbaren, komplexen System „Konsument“ liegt, durch den man Kaufimpulse auslösen kann.
Du sollst den wirkungsvollsten Punkt eines Systems jedoch nicht dazu mißbrauchen, deine Konkurrenten k.o. zu schlagen oder auf die Palme zu bringen, sondern um Nachfragewiderstände zu überwinden und ihren Kunden den größtmöglichen Nutzen zu bieten.
Je zentraler die Funktion des angezielten Punktes, desto größer ist die Wirkung. In vernetzten Systemen kommt es also entscheidend darauf an, die vorhandenen Kräfte auf den jeweils wirkungsvollsten Punkt zu konzentrieren. Wenn Sie in vernetzten Systemen den zentralen Problemknoten lösen, ist eine Kettenreaktion die Folge: Die mit dem Kernproblem vernetzten Probleme lösen sich automatisch einfacher. Je dichter die Vernetzungen werden – und genau das geschieht zur Zeit auf allen Märkten –, desto wichtiger ist es, genau auf den wirkungsvollsten Punkt zu zielen, statt sich immer mehr anzustrengen und immer größere Kräfte einzusetzen.
Der wirkungsvollste Punkt ist in der Praxis selten so klar erkennbar wie in dem Beispiel von David und Goliath. Die Kunst des Managements vernetzter Systeme liegt aber gerade darin, in der Masse der Probleme das Kernproblem zu erkennen, das mit allen anderen verknüpft ist.
Das Minimumprinzip
Wie triffst du nun in der immer unübersichtlicher und komplexer werdenden Welt den wirkungsvollsten Punkt in vernetzten Systemen? Die Antwort gibt das Minimumprinzip. Es wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Philipp Carl Sprengel entdeckt und durch den Gießener Chemiker Justus von Liebig populär gemacht, als er nach den Ursachen des Pflanzenwachstums suchte. Er stellte fest, dass eine Pflanze vier Elemente zum Wachstum braucht: Phosphorsäure, Kalk, Kali und Stickstoff. Mittlerweile weiß man zwar, dass es nicht nur vier, sondern erheblich mehr Faktoren sind, aber das ändert nichts an der grundsätzlichen Richtigkeit der Erkenntnis und spielt für das Verständnis der Mewes-Strategie daher keine Rolle. Wenn nur einer dieser Stoffe fehlt, kommt das Wachstum zum Stillstand, und zwar selbst dann, wenn alle anderen Stoffe im Überfluss vorhanden sind. Als „Minimumfaktor“ bezeichnete Liebig das jeweils knappste Element, also das, welches den Wachstumsprozess behindert. Führt man den Minimumfaktor zu, entwickelt sich die Pflanze ganz von allein weiter, bis ein anderes Element zum Minimumfaktor wird.
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